Gastbeitrag von Natalie.
Ja, das erste graue Haar hatte ich tatsächlich schon mit Mitte 20. “Reiß es sofort raus!” Hab ich zu meiner Schwester gesagt, als sie mir ihre Entdeckung auf meinem Kopf kund tat. Und so ging es die nächsten Jahre. Jedes neu entdeckte graue Haar wurde sofort entfernt. Irgendwann war diese Vorgehensweise kontraproduktiv, da eine Halbglatze durch bewusstes Haare ausreißen nicht unbedingt attraktiver ist. Ab da stieg ich aufs Färben um.
Und hatte lange meine Ruhe, so meinte ich es zumindest.
Was tun wir da eigentlich, liebe Frauen?
Warum können wir nicht einfach zu den Veränderungen unseres Körpers und zu den äußeren Anzeichen dafür, dass wir ein paar Jahre mehr auf dem Buckel haben, stehen? Warum müssen wir mit 40 aussehen wie mit 15 oder 20? Wozu der ganze Druck?
Wollen wir auch genauso denken, fühlen und handeln wie mit 15 oder 20? Sorry, ich definitiv nicht. Meine Gedanken kreisten ständig darum, ob ich gut genug bin, ob ich “ankomme“, vor allem beim anderen Geschlecht. Ich hatte vorgefertigte Meinungen über das Leben und darüber wie Dinge zu sein haben. Ich habe andere oft verurteilt, aber am meisten mich selbst. Ich war verunsichert, wenn mich Leute nicht mochten, vor allem Männer. Ich konnte keine länger dauernde Beziehung eingehen. Ich habe meinen Körper mit Diäten, Kalorienzählen und Sportprogrammen kasteit.
Klar, ich war nicht so nachdenklich und ich war risikofreudiger als heute. Ich habe mehr den Moment gelebt. Aber das ist etwas, das man auch wieder lernen kann! Sogar mit 40.
Die Wende
Meine Ignoranz des „grauen Anteils“ auf meinem Kopf hat irgendwann eine Wendung genommen. Eine Frau, die ich vor einigen Jahren kennenlernte, sie war jünger als ich, hatte noch viel mehr graue Haare und färbte sie einfach nicht. Unerhört! Das kann doch nicht sein! In dem Alter muss man die doch noch färben! Sie ist sonst so hübsch, wieso färbt sie sie nicht? Ich verstand es einfach nicht.
Mit der Zeit fielen mir noch viel mehr Frauen auf, die die Haare nicht färbten. Attraktive Frauen.
Und irgendwann fand ich graue Haare sogar schön.
Ich habe tatsächlich über ein Jahr ohne Färben gelebt und es war gar nicht schlimm. Im Frühjahr hab ich mir ein paar blonde Strähnen gemacht, die mit den grauen Haaren hervorragend harmonieren. Und dass die schon wieder herauswachsen und wieder mehr graue offenlegen, macht mir komischerweise gar nichts mehr aus. Der Druck, alles zu verstecken, ist einfach weg.
Schritt für Schritt….
Warum diese Angst?
Warum haben wir diese Angst vor dem Älterwerden überhaupt?
Nicht nur die grauen Haare, auch die Falten, die wir bekommen, unsere Figur, die sich verändert, und vieles mehr. All das sind doch Zeugen der Erfahrungen, die wir gemacht haben. Und hoffentlich der Weisheit, die wir erworben haben.
Wenn wir uns äusserlich „ausradieren“, hinterlässt dass denn auch innerlich Spuren?
Ich finde, unsere Kultur und die Entwicklungen der letztem Jahrzehnte tragen sehr viel dazu bei, dass wir uns so fühlen. Wir müssen unseren momentanen Zustand immer wieder optimieren oder verändern, statt das anzunehmen, was in dieser oder jener Phase gerade da ist.
Wir haben z.B. unsere Periode und fühlen uns schlecht, weil wir Schmerzen haben, uns kraftlos und müde fühlen und trotzdem funktionieren müssen, statt diese Zeit als Rückzug in unsere Innenwelt zu nutzen und wieder neue Energie zu sammeln. Gerade unser weiblicher Zyklus zeigt uns sehr deutlich, dass wir einen Rhythmus haben, dass wir nicht immer gleich funktionieren können, als ob wir eine Maschine wären. Wir Frauen leben diesen Rhythmus schon sehr lange nicht mehr.
Wenn wir es täten, dann würden wir feststellen, ebenso wie in früheren naturnäheren Kulturen, dass wir nicht nur einen monatlichen Zyklus habe, sondern unser ganzes Leben zyklisch ist, es verläuft in Phasen. Jede dieser Phasen hat ihre eigenen Themen, auf die wir unsere Aufmerksamkeit legen könnten. Mit 40 lebe ich in einer anderen Phase, als mit 20 oder mit 60. Das Leben verlangt andere Schwerpunkte. Lassen wir diese Entwicklung zu? Oder verleugnen wir sie, indem wir so tun, als würden wir noch einer anderen Phase leben?
Auch die Gewichtung der Figur hat exorbitante Ausmasse angenommen. Egal ob es um Sportprogramme oder Ernährung bzw. Nahrungsergänzung geht: Die Figur, das Aussehen steht oftmals im Vordergrund, nicht die Gesundheit oder der Spass oder die Energie. „Selbstoptimierun“ bzw. „Körperoptimierung“ ist der Lebensinhalt vieler Frauen (und inzwischen auch vieler Männer) geworden. Das Ideal von aussen wird so geschickt in Werbung und Filme verpackt, so dass wir irgendwann meinen, es wäre unser eigenes Ideal. Wir haben vielleicht eine weibliche Figur, sollen aber bitte aussehen wie junge, noch nicht geschlechtsreife Mädchen. Viele haben Kinder geboren und die Figur muss trotzdem schnellstmöglich wieder top sein.
Wir sind so sehr auf das Aussen konzentriert, dass das Innen, das Spirituelle, die Weisheit, unsere Seele, unser innerster Kern und vieles andere auf der Strecke bleiben. Und noch viel wichtiger: Wir merken gar nicht, dass wir das Leben und die Ideale anderer Menschen oder sogar einer ganzen Industrie leben, die nicht unbedingt unser Wohl im Kopf haben.
Die gute Nachricht
Aber, hier kommt die gute Nachricht: Es gibt immer mehr Frauen, die zu sich stehen. Die ihre Falten, ihre Speckröllchen, ihre grauen Haare sogar lieben. Die nicht jede kleinste Spur von sichtbar gewordener Lebenserfahrung ausradieren wollen. Es geht nicht darum, dass wir ein oder zwei kleine „Makel“ an uns nicht mögen und vielleicht korrigieren (z.B. mit Make-up oder Haare färben). Es geht darum, dass wir die innerliche Panik ablegen, dass Älterwerden an sich ein Makel ist und wir ihn so lange wie möglich herauszögern müssen. Eine Panik, die uns am wirklichen Leben hindern kann. Eine Panik, die uns blind macht für all die Schönheiten, Abenteuer und Überraschungen auf dieser wunderschönen Erde, die entdeckt und erforscht werden möchten. Dinge, in denen wir aufgehen können, die unser Herz berühren, die uns begeistern und mitreissen. Das Gefühl im „Flow“ zu sein, im Fluss des Lebens.
Das Älterwerden macht mir keine Angst mehr, ich freue mich darauf. Ich habe so viele faszinierende Dinge entdeckt, die ich erforschen will, die mich begeistern. In mir selbst und in der Welt um mich herum.
Ich habe keine Zeit mehr, die grauen Haare zu zählen.
Aber ich gebe zu, es ist auch ein Weg mit Ups and Downs. Ich fühle nicht jeden Tag diese Selbstliebe. Manchmal falle ich in die alten Muster zurück. Glücklicherweise fällt es mir schneller auf als früher, und ich verharre nicht mehr tage-, wochen-, monatelang in diesem Zustand.
Schritt für Schritt…
Ich wünsche jeder Frau, dass sie das Geheimnis kennenlernt, mit sich im Reinen zu sein, sich anzunehmen, wie sie ist und das zu tun was ihr gefällt.
Und etwas zu finden, das sie von ganzem Herzen begeistert, so dass es unwichtig wird, ob heute ein graues Haar und morgen eine Falte mehr da ist.
Es macht so einfach viel mehr Spaß zu leben.
Mein Wunsch für dich:
Vereine Körper, Geist & Seele.
Lebe deine kreative Weiblichkeit.
Heile dich selbst.
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Über Natalie:
Mit ihren Vorträgen, Workshops und Coachings begleitet sie Frauen in die Selbstheilung, in die Selbstliebe und in die Lebensfreude. Wenn du mehr von ihr erfahren möchtest, besuche ihre Website oder schreibe sie gerne an (kontakt@naturali.ch)