Nadine

Meine Geschichte begann im Grunde schon in meiner Kindheit, in der das Thema Essen und Körper, wenn auch nur hintergründig eine Rolle gespielt hat.

Ich war ein sehr angepasstes, zurückhaltendes und schüchternes Mädchen. Habe mich schon als Kind ständig analysiert und mein Verhalten nach außen in jedem Gedanken, in jeder Handlung überdacht und hinterfragt. Wie wirke ich? Was denken die Anderen?
Mein Leben war und ist von diesen Gefühlen und Gedanken geprägt. Ich war sehr zurückgezogen und unscheinbar. Lebte in meiner eigenen Welt, in der ich Schutz fand. Alleine…

Mein Leben zog dahin und ich konnte nie die Erfahrungen machen, die zum Beispiel Jugendliche gemacht haben. Ich habe nie mit Freunden Spaß gehabt, Abenteuer und lustige, verrückte Situationen erlebt… Wenn ich mich mit Anderen austausche oder nach meiner Vergangenheit gefragt werde, habe ich kaum eine Antwort. Ich weiß noch nicht einmal mehr, in welchem Jahr was und welche Erfahrung passiert ist, zum Beispiel meine erste Beziehung.

Dennoch war mein Leben trotzdem schön und es gab auch viele schöne Erlebnisse. Aber in einem anderen Rahmen und meist beschränkt auf die Familie oder ein, zwei Freundinnen in der Grundschule.

Schließlich wurde ich durch heftiges Mobbing, vor allem in der weiterführenden Schule, noch unsicherer. Ich habe nie ein positives Körperbild und Körpergefühl gehabt und schämte mich zutiefst, da viele Angriffe auf meinen Körper gezielt haben. Immer und immer wieder.

Ich flüchtete mich aufgrund meines Übergewichts in die Magersucht, habe dünne Körper und die Essstörung verherrlicht. Täglich verbrachte ich mehrere Stunden in Internetforen, die ebenfalls verherrlichend und inspirierend gewirkt haben. Sie nannten sich „pro Ana“ (Pro Anorexia, für die Magersucht) Und „pro Mia“ (pro bulimia, für die Bulimie). Bilder mit der Bezeichnung Thinspiration (Inspiration von dünnen Menschen) wurden geteilt. Es gab Challenges, wer am wenigsten isst, am längsten fastet, am meisten Sport treibt und am meisten Gewicht verliert.

Und in der Zeit, in der mein Leben dahin zog erlebte ich zuriefst traumatische Erlebnisse, die allesamt mit dem Thema Krankheit, Angst und Tod, Kampf und Verlust zu tun hatten.Ich wurde schon immer mit dem Thema Tod konfrontiert und erlebte eine schwierige Familiensituation, die nur meine Mutter mit uns meisterte. Mein Bruder und ich waren zeitweise auch auf uns alleine gestellt. Es gab Zukunftsängste und Verzweiflung, aber auch schöne Urlaube und Unternehmungen.

Ich habe mehrere Phasen der Esstörung durchlebt. Es ging vom Übergewicht in die Anorexie, in der ich mich innerhalb kurzer Zeit auf einen BMI von 12 hungerte. Irgendwann begannen Essanfälle, und mein Körper begann, sich das Essen mit aller Macht wieder zu holen. Es folgte eine schwere Bulimie, in der ich mich bis zu 5 Mal am Tag vollfraß und mich in langen, weinenden und verzweifelten Minuten oder auch Stunden erbrach. Bis zur völligen Erschöpfung. Dennoch arbeitete ich normal weiter, aß und erbrach dann aber auch auf der Arbeit.

An meinem Tiefpunkt angekommen war ich in einer Klinik für Essstörungen, die mir mein Leben rettete und mein Leben unendlich bereichert hat. Nicht nur aufgrund der Gewichtszunahme und dem Thema Essen. Es war viel mehr. Heute denke ich noch viel an den wunderschönen Ort und die intensive Zeit zurück.

Die Essstörung und weitere Themen habe ich lange in einer ambulanten Psychotherapie aufgearbeitet. Ich habe mich tief damit beschäftigt und weiß nun, dass die Anorexie mich unsichtbar machte, die Bulimie mich aus der Reihe tanzen und kompensieren ließ, und ich die Aufmerksam die ich trotz Lügen bekam auf mich zog. Ich war auch noch da und wichtig.

Mittlerweile habe ich wieder Übergewicht und Essanfälle, bin verzweifelt und nehme immer mehr zu. Mein Körper hat sich so stark verändert, dass ich ihn zum Teil hasse, obwohl ich genauso auch Gefühle der Liebe für meinen Körper habe. Zeitweise fühle ich mich wie am Anfang der Essstörung. Die Spirale hat mich wieder zurück geführt. Ich habe aber mittlerweile ein anderes Denken und Fühlen und auch das hat einen Sinn und eine Bedeutung.

Es ist nicht wichtig, welche Zahl auf der Waage steht, oder wie viel Gewicht ich habe. Es geht um so viel mehr im Leben. Und natürlich auch um das eigene Wohlbefinden und den Frieden mit mir und meinem Körper. Ich arbeite erneut daran. Es scheint wie ein Teufelskreis, ist aber dennoch auch unfassbar viel mehr, bereichernd und hat seine Bedeutung. Es gibt mehr, als nur den Körper: Erlebnisse, Träume, Sehnsüchte, Erfahrungen, Liebe… Ich bin gut so viel ich bin! Ich bin Genug!

Ich bin eine hochsensible Person und spüre sehr viel, habe sehr feine Antennen für Gefühle, Schwingungen, Abneigung, Liebe und vieles mehr.

Und ich bin es mir wert, Frieden mit meinem Körper und mir zu schließen. Auch, wenn es manchmal sehr schwer ist.

Ich bin wertvoll und das spüre ich täglich. Mein Leben ist nun so viel reicher!